Wirtschaftsnobelpreis 1981: James Tobin

Wirtschaftsnobelpreis 1981: James Tobin
Wirtschaftsnobelpreis 1981: James Tobin
 
Der Amerikaner erhielt den Nobelpreis unter anderem für seine Analyse der Finanzmärkte und deren Beziehung zu Ausgabenentscheidungen.
 
 
James Tobin, * Champaign (Illinois) 5. 3. 1918, ✝ New Haven (Connecticut)11. 3. 2002; 1935-41 Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Harvard University in Cambridge (Massachusetts), 1942-46 Dienst in der amerikanischen Kriegsmarine, 1947 Doktor der Philosophie, 1955-88 Wirtschaftsprofessor an der Yale University in New Haven (Connecticut), 1955-61 und 1964-65 Direktor der Cowles Foundation, 1961-62 Mitglied des wirtschaftlichen Beraterstabs von US-Präsident Kennedy, 1966-70 Vorsitzender der New Haven City Plan Commission.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Tobin leistete grundlegende Beiträge auf den Gebieten der ökonometrischen Methodenlehre, der streng formalen Risikotheorie, der verhaltensorientierten Haushalts- und Unternehmenstheorie und der allgemeinen makroökonomischen Theorie. Bekannt wurde Tobin insbesondere durch die Entwicklung der Portfoliotheorie, welche Risiko-Ertrags-Abschätzungen im Rahmen eines aus unterschiedlichen monetären und realen Werten bestehenden Vermögensbestands (Portfolio) aufzeigt. Weiter konnte Tobin bei der Untersuchung von Unternehmenswerten zeigen, dass der Marktwert eines Unternehmens im langjährigen Durchschnitt um etwa ein Drittel hinter dem Wiederbeschaffungswert des Anlagevermögens zurückbleibt. Der Quotient aus dem Marktwert eines Unternehmens und den Wiederbeschaffungskosten des Sachkapitals dieses Unternehmens wird als »Tobins q« bezeichnet. Danach lohnen sich Neuinvestitionen, solange der Marktwert höher ist als die Wiederbeschaffungskosten, da bei einem hohen Aktienkurs der Erwerb von neuem Sachkapital relativ günstig ist. Mit Tobins q lässt sich somit die Verknüpfung zwischen Geldpolitik und Investitionstätigkeit über den den Unternehmenswert reflektierenden Aktienkurs herstellen.
 
 Ein überzeugter Keynesianer
 
Die bedeutendsten Forschungsbeiträge von Tobin beschäftigen sich mit der Weiterentwicklung der Liquiditätspräferenztheorie von Keynes im Rahmen der modernen Geldnachfragetheorie. Die Liquiditätspräferenztheorie geht von Unsicherheit aus und unterstellt ein von Erwartungen über den zukünftigen Zins abhängiges Verhalten der Wirtschaftssubjekte. Im Gegensatz zu Keynes, der nicht zwischen verschiedenen Vermögenstypen unterscheidet, beschäftigt sich Tobin mit der Frage, wie private Haushalte und Unternehmen ihr Vermögen auf unterschiedliche monetäre und reale Aktiva aufteilen, und analysiert dabei die Beziehung zwischen Geld- und Realvermögen, indem er ihre Risikoeigenschaften betrachtet. Tobin konnte plausibel aufzeigen, dass monetäre und reale Aktiva unterschiedliche Risiken beinhalten und somit zwei Klassen unterschiedlicher Vermögensarten darstellen. Für die Entstehung von Geldvermögen muss die Existenz von verbrieften Krediten, also eine kurzfristige Realisierung eines Budgetungleichgewichts, gegeben sein. Dagegen bedarf es bei der Entstehung von realen Aktiva nicht eines verbrieften Schuldverhältnisses, sondern der Teil, der nicht konsumiert — also gespart wird — bleibt Realvermögen. Tobin ordnete den beiden Vermögensklassen verschiedene Risikoquellen zu, die sich gegenseitig ausschließen. Das Risiko wird über die Ertragsverteilung gemessen, wobei sich die stationären Risikoerwartungen in der Gauß'schen Normalverteilung widerspiegeln. Da bei Tobin Real- und Geldvermögen keine perfekten Substitute sind, löst er das Problem der Staatsverschuldung von Keynes und die Frage ihrer Finanzierung. Tätigt der Staat kreditfinanzierte öffentliche Ausgaben, indem er Staatsschuldtitel ausgibt, dann steigt zunächst der Zins, was zu einer Verdrängung privater Investitionen führt (Crowding-Out). Durch den Kauf von Wertpapieren übersteigt der Bestand an Geldvermögen jedoch die Realvermögenswerte in den Portfolios. Nach dem Vermögensstruktureffekt bringen die Wirtschaftssubjekte ihre Portefeuilles wieder ins Gleichgewicht, indem sie zusätzliche Nachfrage nach Realvermögen entfalten und damit den restriktiven Effekt der Zinserhöhung kompensieren. Damit ist nach Tobin ein expansiver Effekt öffentlicher Ausgaben möglich.
 
Tobin betont die Wirkungen monetärer Effekte auf die private Investitions- und Konsumnachfrage. Er konnte modelltheoretisch zeigen, auf welche Weise geld- und fiskalpolitische Maßnahmen des Staates wie Zinsänderungen der Zentralbank oder eine Erhöhung der Staatsverschuldung das Volkseinkommen beeinflussen und sich dadurch das Preisniveau und die Produktion verändern. Tobin ging in einem solchen Fall von kurzfristig starren Löhnen aus, die eine sofortige Anpassung der Wirtschaftspläne der Haushalte und Unternehmen verhindern, sodass Veränderungen in der Nachfrage auf dem Güter- und Arbeitsmarkt eher zu Variationen in der Beschäftigung als zu Preisniveauveränderungen führen.
 
Tobin vertrat die Auffassung, dass eine aktive Schuldenpolitik des Staates und ein koordinierter Einsatz geld- und finanzpolitischer Programme zu einer erhöhten Beschäftigung führen. Er erweiterte damit die von John Maynard Keynes begründete Konjunkturtheorie, welche eine aktive und nachfrageorientierte staatliche Wirtschaftspolitik fordert.
 
Bei der Betrachtung der Beziehungen zwischen monetären und realen Phänomenen hat Tobin sowohl theoretisch als auch empirisch auf die Konsumeffekte bei einer Veränderung des realen Geldwerts hingewiesen. Ein wesentlicher Aspekt in seinem Modell betrifft die Bestimmungsgründe bei Investitionsentscheidungen von Unternehmen. Tobin gelang es zu zeigen, dass Unternehmensinvestitionen vom Verhältnis zwischen dem Marktwert des bestehenden Realkapitals und den Wiederbeschaffungskosten dieses Kapitals beeinflusst werden. Fällt beispielsweise der Aktienkurs bei gegebenen oder steigenden Anschaffungskosten, dann werden Investitionen unrentabel, da hierfür nicht ausreichend günstiges Aktienkapital zur Verfügung steht.
 
 Aktive Wirtschaftspolitik
 
1961/62 war Tobin im wirtschaftlichen Beraterstab in Washington für die Regierung von Präsident John F. Kennedy tätig. Der im Januar 1962 vorgelegte Bericht stellte eine Grundsatzerklärung zur gesamtwirtschaftlichen Lage dar, die sich an die Vereinigten Staaten und die weltwirtschaftlichen Bedingungen dieser Zeit anlehnte. Das Ziel, die Arbeitslosenquote von sieben auf vier Prozent zu verringern, konnte Ende 1965 erreicht werden. Zugleich konnten eine starke Inflation vermieden und die Kapitalinvestitionen stark gesteigert werden. Der Erfolg wurde getrübt, als Lyndon B. Johnson, der nach der Ermordung Kennedys 1963 zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde, in den späten 1960er-Jahren gegen den Rat des Wirtschaftsgremiums die Steuern erhöhte, um die Kosten des Vietnamkriegs zu finanzieren. Der Beraterstab war ferner auch mit der Beseitigung der wirtschaftlichen Benachteiligung der afroamerikanischen Bevölkerung sowie mit der mangelnden Leistung des bestehenden staatlichen und bundesstaatlichen Wohlfahrtsprogramms betraut.
 
Tobins Portfolio-Selection-Theorie und seine Finanzmarktanalysen wurden im Lauf der Zeit auf zahlreiche Problemstellungen erfolgreich angewendet. So gehen die Analysen der Zahlungsbilanz und Wechselkurse während der 1970er-Jahre zum Teil auf Tobins Modell zurück. Die Arbeiten von Tobin haben zu regen Forschungsaktivitäten auf den Gebieten der Geldpolitik, Staatsverschuldung und Stabilisierungspolitik sowie der Zahlungsbilanzanalyse und des Wirtschaftswachstums geführt.
 
R. Füss, G. Vorsatz

Universal-Lexikon. 2012.

Игры ⚽ Нужно решить контрольную?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Wirtschaftsnobelpreis 1983: Gerard Debreu —   Der Mathematiker erhielt den Nobelpreis für die »Einführung neuer analytischer Methoden in die ökonomische Theorie und für die grundlegende Neuformulierung der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie«.    Biografie   Gerard Debreu, * Calais… …   Universal-Lexikon

  • Preisträger des Preises der schwedischen Reichsbank für Wirtschaftswissenschaften in Gedenken an Alfred Nobel — Bekanntgabe des Preisträgers 2008 Der Preis für Wirtschaftswissenschaften der schwedischen Reichsbank in Gedenken an Alfred Nobel (schwedisch Sveriges Riksbanks pris i ekonomisk vetenskap till Alfred Nobels minne) ist der renommierteste Preis in… …   Deutsch Wikipedia

  • Wirtschaftsnobelpreisträger — Bekanntgabe des Preisträgers 2008 Der Preis für Wirtschaftswissenschaften der schwedischen Reichsbank in Gedenken an Alfred Nobel (schwedisch Sveriges Riksbanks pris i ekonomisk vetenskap till Alfred Nobels minne) ist der renommierteste Preis in… …   Deutsch Wikipedia

  • Liste der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften — Bekanntgabe des Preisträgers 2008 Der Preis für Wirtschaftswissenschaften der schwedischen Reichsbank im Gedenken an Alfred Nobel (schwedisch Sveriges Riksbanks pris i ekonomisk vetenskap till Alfred Nobels minne) ist der renommierteste… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”